Zahlen, bitte!
27.09.2023‚Money makes the world go round’. So abgedroschen, wie alt ist diese Redewendung. Auch deshalb versuchen wir ja gerade mit unseren Gemeinschaftsprojekten den Gegenbeweis anzutreten. ‚Bei Geld hört die Freundschaft auf’, noch so eine der überlieferten sogenannten Lebensweisheiten. Auch die versuchen wir mit Macht zu widerlegen. Denn die Solidarität soll ja beim Geld gerade anfangen.
Unsere Beratungspraxis zeigt, dass wir uns in Gemeinschaften sehr häufig genau zwischen diesen beiden Polen bewegen. Einerseits schwingen das Geld und damit die Zahlen – besonders in Kollektivbetrieben oder Hausprojekten – unbestritten das Zepter. Andererseits scheiden sich bei der Frage im Umgang mit der Kohle sehr deutlich und häufig die Geister.
In Gruppen, in denen die Ökonomie eine zentrale Bedeutung hat, ist Wissen über Betriebswirtschaft, Kalkulation, Buchführung, Steuern und Finanzierung unvermeidbar. Wie auch ein geschickter und cleverer Umgang damit. Ob wir wollen oder nicht. Und da begegnet uns das erste größere Problem: Viele Gruppenmitglieder wollen nicht! Zu trocken, zu abstrakt, zu unpersönlich sind diese Bereiche. Andere Themen sind spannender, machen mehr Spaß und finden höhere Anerkennung. Andersherum: Nur sehr wenige wagen sich (auch deshalb) an die Zahlen, sehr häufig nur eine Person. Und gar nicht so selten wird es ganz ‚outgesourced’, z.B. an ein Steuerbüro.
Die wenigen Expert*innen in den eigenen Reihen tragen somit eine hohe individuelle Verantwortung. Genauer gesagt, wird diese auf sie abgeschoben und alle anderen können sich erleichtert zurücklehnen. Damit sind allerdings Entscheidungen in Gruppen von ihren Prognosen und Interpretationen abhängig. Sowie von deren individuellen Haltungen, z.B. zu Risiken oder Innovationen. Sie steigen ungewollt, jedoch automatisch, in der gruppeninternen Hierarchie auf. Was natürlich, mangels Gleichberechtigung, potentiell kritisiert wird. Und letztlich wird der/die Überbringer*in schlechter Nachrichten schließlich selber zu…. na ja, schon wieder so eine ‚Weisheit’. Und wenn die Fachmenschen sich dann mal ein anderes Ensemble suchen, verlassen Kompetenzen und Wissen gleich ganz das Projekt. Mitunter sogar motiviert durch den erlebten Frust in dieser einsamen Funktion.
Die breite Verankerung von Wissen, auch über die ‚Zahlen’, ist unverzichtbarer Baustein autonomer Selbstverwaltung. Gemeinschaftsvorhaben werden durch politische, soziale und solidarische Absichten gegründet und davon vorangetrieben. Die dauerhafte Absicherung der Ziele setzt jedoch zusätzlich ein planvolles und gemeinschaftliches Handeln im Bereich der Ökonomie voraus. Dazu müssen sich im absoluten Minimum zwei Mitstreiter*innen darin vertiefen. Ein großer und kreativer Aufwand muss geleistet werden, um dann für alle anschaulich und nachvollziehbar die Magie der Zahlen zu entzaubern. Eine Dauerbaustelle. Die Mahner*innen, die Sparer*innen und die Mutigen müssen sich darauf konkret beziehen können, neben ihrem Bauchgefühl. Soweit in Prozessen auch Geld dominiert, ist ein gemeinsamer Überblick die Grundlage für tragfähige und kollektive Entscheidungen. Z.B. wie Kosten und Arbeitszeiten effektiver eingesetzt bzw. minimiert werden können? Oder welche realistischen Handlungsoptionen bei Problemlagen und veränderten Marktzwängen bestehen? Oder wie die aktuelle Situation aussieht, was sich verändert hat und was zu erwarten ist? Welche Ziele erreicht werden können, welche nicht? Und sie können sogar zu einem sicheren Gefühl beitragen: Das schaffen wir!
Ein offener Austausch über alle vorhandene Ideen und Ressourcen wird in Gemeinschaften so erleichtert. Ein gewichtiger Beitrag, um das Herzstück der solidarischen Selbstverwaltung zu erhalten und zu pflegen, die Autonomie und die Gleichberechtigung. Also: Zahlen, bitte!