Wer sind wir eigentlich und warum?
03.10.2016Nicht selten taucht bei Beratungen und bei Treffen mit Mitstreiter_innen aus Kollektivbetrieben die Forderung auf: Wir müssen mehr Öffentlichkeitsarbeit machen! Die Leute sollen doch wissen, dass es uns Gemeinschaftsbetriebe gibt! – Und genauso regelmäßig stehen die Beteiligten anschließend unschlüssig im Kreis um die Frage, was haben wir zu sagen, was ist denn das Außergewöhnliche, das Mitteilenswerte an uns? In der Welt des bunten, vielfältigen und allgegenwärtigen Kapitalismus scheint es alles bereits schon zu geben. Sind die Kollektivbetriebe ein weiteres Steinchen in dem flächendeckenden Verwertungsmosaik. Alleinstellungsmerkmale? Widerstandskultur? Antikapitalistisch?
Gleichberechtigte Zusammenarbeit, das kollektive Herzstück, findet sich heute in jedem besseren Organisationshandbuch unter dem Stichwort flache Hierarchien. Gleich auf der nächsten Seite wird in dem Buch die so genannte Teamarbeit im Produktionsprozess vermittelt, die noch vor 30 Jahren als exklusives Experimentierfeld von Kollektivbetrieben galt. Die hoch entwickelte persönliche Identifizierung mit dem Betrieb, den Produkten, der Qualität und Belegschaft wurde in Kollektiven schon täglich gelebt, als die Betriebswirtschaftslehre Corporate Identity noch nicht einmal buchstabieren konnte. Und die einst exotische Verwendung von regionalen Rohstoffen, biologisch-organisch angebauten Naturprodukten, fair bezahlten Vorleistungen, ressourcenschonender Materialeinsatz und natürlich Rechnungen auf Umweltschutzpapier, sind heute in Supermarktregalen und Firmen-websites längst Standard. Selbst die gute alte Qualitäts-Handarbeit, feiert weit verbreitet marktgängige Urstände. Und so ließe sich die Liste der von der ‚Normalwirtschaft’ adaptierter Kollektiveigenheiten noch deutlich verlängern, ob bei Unternehmensbeteiligung von Mitarbeiter_innen, differenzierter Entlohnung, sozialpolitischem Engagement, Nachhaltigkeitsstandards, Partizipation, etc. Und zu guter Letzt hüllt uns seit einigen Jahren die selbstgehäkelte Kuscheldecke namens Solidarische Ökonomie komplett ein, die ungefragt alle etikettiert. Arm in Arm mit Windparkbetreibern, Wohnungsbaugenossenschaften, ethischen Banken, Biobrot-Fabrik, Misereor oder Naturkostgroßhandel arbeiten wir schließlich alle als große Familie unter dieser Flagge für eine bessere Welt. Oder etwa nicht?
Es fällt in diesem Umfeld schwer, eigene Konturen und widerständisches Potenzial zu entwickeln, dauerhaft zu praktizieren und dann auch noch nach außen angemessen zu vermitteln. Das Knabbern an den Fingernägeln bei der Frage nach unserer Besonderheit kommt also nicht von ungefähr. Auch eine Contraste-Zeitung wird einem nicht gerade aus den Händen gerissen, sondern hängt trotz held_innenhafter ehrenamtlicher Redaktion permanent am Spendentropf.
Schon bei Gründungsberatungen tritt in Gruppen die perspektivische Marktwilligkeit und Marktfähigkeit in harte Konkurrenz zu sozialen, solidarischen, beitragsökonomischen und nichtmarktgängigen Betriebszielen und -strukturen. Richtig wundern kann es dann auch nicht, wenn bei nicht wenigen länger bestehenden Kollektivbetrieben die sog. ‚Aushilfen’ längst in der Überzahl zum ‚Stammkollektiv’ sind. Und selbst ein einfacher wechselseitiger Austausch der Kollektivist_innen untereinander, als Erfahrens- und Wissenvernetzung, hatte im Berliner Kollektivenetz keine Chance: das können wir uns nicht leisten…. Was ist dann noch das Außergewöhnliche, wofür stehen wir, was reizt persönliche Verantwortung zu übernehmen?
Wir können als externe Berater_innen diese Frage nur immer und immer wieder stellen. Und vor allem die ökonomisch arbeitenden Unternehmungen anregen, sich nicht vorauseilend gleich den Marktgesetzen widerstandslos zu ergeben. Es ist ohnehin schwierig genug im sicheren eigenen Takt beim Tanz mit dem Teufel zu bleiben. Wer das trotzdem versucht und öffentlich diskutiert, bei allen bekannten Widersprüchen, kann in jedem Fall auf unsere uneingeschränkte Solidarität zählen!