Wenn uns Erfolg auf die Füße fällt….
24.03.2023Die alltägliche Arbeit läuft routiniert, die regelmäßigen Aufgaben sind grundsätzlich verteilt, das nötige Fachwissen und -können sind vorhanden und die erforderliche Kommunikation und Plena laufen nach bewährtem Schema. Auch können sich alle Beteiligten gut einschätzen, wissen um ihre jeweiligen Stärken, Schwächen und Unverträglichkeiten. Gegensätze werden akzeptiert bzw. geduldet und drohende Konflikte dadurch moderat begehbar gemacht. Durch eine längere kontinuierliche Zusammenarbeit im Betrieb, im Hausprojekt oder Initiative ist ein gegenseitiges Basisvertrauen stabil gewachsen. Jede und jeder bringt soviel individuelles und zeitliches Engagement ein, wie er/sie will und kann…..Der Laden läuft….eine Utopie? Nein, in sehr vielen langlebigen Strukturen mit hoher personeller Kontinuität erleben wir eine entsprechend solide und widerstandsfähige Konstellation. Eine sehr zufrieden stellende Situation in hoher Qualität. Und absolut erhaltenswert.
Wenn, ja wenn da nicht irgendwann unvermeidbar deutliche Veränderungen von innen oder außen anklopfen. Meistens ungewollt, werden alle Gruppen mit Entwicklungen konfrontiert, die mit den gewohnten ‚Handgriffen’ nicht nebenbei zu reparieren sind. Wenn z.B. einige Langzeit-Beteiligte von Bord gehen, nicht mehr mit von der Partie sein werden. Aber auch wenn ein Arbeitskollektiv von einer neuen Marktsituation überrascht wird. Oder ein deutlich intensiverer Arbeitseinsatz dauerhaft erforderlich wird, neues Fachwissen oder andere berufliche Qualitäten zwingend dazukommen müssen. Oder es steht schlicht altersmäßig ein Generationenwechsel an.
Die veränderten (Rahmen-)Bedingungen machen regelmäßig im Kern einen personellen Wechsel notwendig. Genauer gesagt, es müssen neue Mitstreiter*innen dazu kommen und gesucht werden. Genau in diesem Moment können wir in Gemeinschaften gelegentlich ein Stillhalten, ein Verharren oder ein Weiter-so-machen erleben. Wir beobachten wiederholt eine erstaunliche Handlungsunfähigkeit. Und das bei gleichzeitig übereinstimmender Analyse, dass z.B. eigentlich ‚neue Leute’ dringend gebraucht werden…. sie kommen aber nicht dazu.
Diese Dynamik ist absolut keine Spezialität unserer selbstverwalteter Versuche und Vorhaben. Und die Reaktion ist durchaus nachvollziehbar. Denn das bisher so verlässliche menschliche und fachliche Gleichgewicht droht Risse zu bekommen. Der verlässliche und berechenbare Arbeitsaufwand für die Gruppe, das Kollektiv oder das Projekt ist nicht mehr garantiert.
In der Praxis ist das u.a. daran erkennbar, dass die neuen Mitarbeiter*innen nicht ernsthaft gesucht werden. Die möglichen Neuen sehr kritisch betrachtet und hohe Anforderungen/Erwartungen gestellt werden. Oder sie nicht einladend und verbindlich in den Betrieb oder Projekt eingearbeitet und einbezogen werden. Wenn konkrete Bewerber*innen im Gespräch sind, entscheiden diese sich dann oft gleich schon im Vorfeld dagegen, bleiben nur für kurze Zeit oder übernehmen nicht die von ihnen erwartete Verantwortung. In Gesprächen mit uns externen Berater*innen wird dafür wiederkehrend das Gefühl benannt, in die langjährig gewachsene Struktur keinen gleichberechtigten Zugang zu bekommen. Also letztlich außen vor zu bleiben.
Die ‚Stammbesetzung’ hingegen begründet ihre Zögerlichkeit u.a. mit Mangel an Zeit und Aufmerksamkeit für die Suche und die notwendigen Anpassungen im Betriebs- oder Projektalltag. Und das völlig nachvollziehbar. Denn der bisher verlässliche und kalkulierbare Alltag hat in der Zwischenzeit individuell Räume geöffnet. Z.B. um eine Nebentätigkeit aufzunehmen, sich an einem Hausprojekt zu beteiligen, eine Familie zu gründen, sich in politischen Initiativen zu engagieren, eine Ausbildung zu beginnen, Hobbys zu intensivieren, etc. Der dauerhaft drohende größere Zeitaufwand für den Betrieb oder das Projekt erscheint nicht nur lästig, er steht dazu im deutlichen Widerspruch. Das alles verhindert letztlich gezielt Veränderungen in Angriff zu nehmen.
So kann uns Erfolg tatsächlich auf die Füße fallen und einen unauflösbaren Kreisverkehr bescheren. Und, es ist daraus niemanden ein Vorwurf zu machen. Entsprechend gibt es aus unserer Sicht auch kein Patentrezept. Außer die Situation ehrlich anzuerkennen und anzunehmen und nicht die ‚Schuld’ auf äußere Faktoren zu schieben. Die einzige Chance, um mit Offenheit dem schädlichen Stillstand zu begegnen. Besser geht’s nicht.
Willi Schwarz