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Selbstbestimmte Mühen

17.05.2019

Sie finden sich in verschiedenen Varianten z.B. in Statuten, kollektiven Vereinbarungen und auch in öffentlichen Erklärungen aller linken, gleichberechtigten Initiativen, Gruppen und Projekten. Sie werden mit demonstrativer Selbstverständlichkeit angenommen oder sogar vorausgesetzt. Gemeint sind die sozialen und politischen Ziele von Gemeinschaftsunternehmungen: Eigenverantwortung, Emanzipation und Selbstbestimmung. Und das völlig berechtigt.

Im Alltagserleben vieler Gemeinschaften führen die Wege dorthin stets über große Hürden und enden manchmal an unüberwindlichen Hindernissen. Wir alle erleben und erleiden Klimakatastrophen, globale Ausbeutung von Mensch und Natur, Opfer durch Flucht und erzwungene Migration, Unterdrückung und kriegerische Zerstörung, um nur einige Fakten zu nennen. Häufig stehen wir diesen ‚äußeren’ Faktoren recht verzweifelt gegenüber, trotz vielfältiger Gegenwehr auf verschiedenen Wegen. Und noch bedrückender ist die Erkenntnis, dass unsere mitteleuropäische Lebensweise und Politik ursächlich einen Anteil daran hat. Der Versuch in diesem Geschehen ernsthaft selbstbestimmte Verantwortung für sich, eine Gruppe und für das gesellschaftliche Geschehen zu übernehmen, hinterlässt das Gefühl einer permanenten Überforderung. Das muss überfordern und zwingt somit oft zur Ausblendung. Denn ich kann unmöglich stets Verantwortung dafür übernehmen, was ‚andere’ zerstörerisch anrichten.

Blicken wir ins Innere unserer eigenen Zusammenhänge. Ob Hausprojekte, Betriebe, Kommunen, Vereine oder Initiativen, allen gemeinsam ist ihnen ein selbstorganisierter, komplexer Alltag mit den vielfältigsten Anforderungen. Von der Buchführung bis zu Fachkenntnissen und vom handwerklichen Können bis zum ökonomischen Überblick. Auch Hartnäckigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Konfliktresistenz, Risikobereitschaft und innovativer Ideenreichtum gehören u.a. dazu. Das alles um selbstbestimmt handeln zu können, verantwortliche Entscheidungen zu treffen und stabile Kontinuitäten zu erreichen. Dazu gesellen sich persönliche Interessengegensätze, individuelle Verhaltensweisen und unterschiedlich wirksame Fähigkeiten, die oft eine emanzipative Entwicklung zumindest gefühlsmäßig blockieren.

Auch hier stehen wir vor einem täglichen Berg an Notwendigkeiten, der gleichfalls Überforderung bedeuten kann und zum Ausweichen animiert. Es verwundert deshalb nicht, dass wir in vielen Gruppierungen auf Situationen treffen, in denen Beteiligte nicht mehr unbedingt individuell Verantwortung übernehmen wollen, für die der Preis und die Mühen für die eigene Emanzipation zu hoch erscheint. Es wird auch nicht als besonders attraktiv angesehen, da z.B. mangels einer entsprechenden Instanz keine Anerkennung oder Rückenstärkung für mein Abmühen zu erwarten ist. Auch winkt in aller Regel keine aufsteigende Entwicklung in eine ‚goldene’ Zukunft, die motivierend wirkt.

Häufig ändern sich die Bedürfnisse eher in Richtung mehr persönliche Freizeit, mehr Zeit für individuelle Interessen und einem verlässlichen Alltag. Anstatt die vergeblichen Mühen der Selbstbestimmung in stundenlangen ungemütlichen Plena. Auch das ist berechtigt

Wie bei vielen Phänomenen, die uns in Beratschlagungen begegnen, haben wir als externe Berater*innen leider auch keine universelle und passende Zauberformel zu Hand. Selbstverständlich ist es absolut nötig, immer wieder aufs Neue im Kleinen und Großen mit Selbstbestimmung und Verantwortung zu experimentieren und sie zu erproben. Doch dazu gehört untrennbar ein ehrlicher Diskurs über Selbstbestimmung und Verantwortung. Und eine realistische politische Verortung unseres Tuns: wir sind mittendrin im System und nicht nebenan. Wenn wir es schon nicht erschüttern können, so bleibt uns eine hörbare und öffentliche Einmischung. Auch die ernsthafte Suche nach uns Verbindendem und eine möglichst ausgeprägte Großzügigkeit bzw. Geduld gegenüber unseren Mitstreiter*innen würde einiges erleichtern.

Wir können alle nur unser Möglichstes geben, besser geht’s nicht……