AGBeratung

Gemeinsam nicht allein

27.06.2020

Auch uns beeindruckt selbstverständlich das aktuelle Geschehen. Nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt. Da ist es ausgeschlossen in einer Contraste-Kolumne weiter ungerührt über das Kleingedruckte der Selbstverwal­tung zu schwadronieren. Als würde sonst alles normal weiterlaufen.

Wir erleben seit Wochen 24 Stunden lang ein Trommelfeuer mit Informationen, Deutungen, Spekulatio­nen, Expert*innenwissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Und das auf allen media­len Kanälen die nur möglich sind. Die Welt scheint nur noch ein Thema zu haben und sich um ein Problem zu sorgen. Obwohl u.a. in vielen afrikanischen Ländern allein der ‚Virus’ Hunger seit Jahrzehnten völlig unkommentiert mehr Tote fordert. Öffentliche Mittel, in bisher kaum vorstellbarer Höhe, wer­den aus dem Hut gezaubert, gedruckt und verausgabt. Bürgerliche Rechte werden umfassend komplett ausgesetzt. Grundlegende politische Entscheidungen fallen im Stundentakt. Zusammenbrü­che gesell­schaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen werden apokalyptisch insze­niert und prognosti­ziert. Inflationärer Gebrauch aller denkbaren digitalen Kommunikationswege macht Daten­schutz zu einem Fremdwort.

Nicht nur, aber auch sind nahezu alle selbstorganisierte Gruppierungen von Schließungen, Einstel­lung ihres Normalbetriebes, ökonomischen Schieflagen oder radikalen Einbrüchen der Alltagsorganisa­tion betroffen oder sie stehen bedrohlich bevor. Nach einer gewissen Schockstarre und hektischen Sofortmaßnahmen, beginnt langsam der Blick in die nähere Zukunft. Wann, wie, mit wem, unter welchen Bedingungen, mit welchen Zielen, mit welchen Änderungen muss es, kann es, wird es überhaupt weiterlaufen?

Soweit nur einige Erscheinungsformen, die uns alle wahlweise erschreckend, besorgt, widerwillig, verharmlosend, verdrängend, ignorierend oder überwältigt bewegen. Und genau diesen emotionalen Fli­ckenteppich finden wir selbstverständ­lich auch in den selbstorganisierten und selbstverwalteten Initiativen, Betrieben, Verei­nen oder Projekten wieder.

Es wird deshalb mindestens in dreifacher Hinsicht eine extreme Belastungsprobe unserer Solidarstruktu­ren, in dieser Form zu unseren Lebzeiten neu. Zunächst treten die individuellen Mentalitä­ten von uns allen extrem in den Vordergrund. Zwischen ängstlicher Panik, ‚Kopf einzie­hen’ bis in zu alarmiertem Aktivismus. Das werden wir gemeinsam aushalten müssen, bevor irgendet­was geklärt werden kann. Auch wenn uns unsere widersprechenden Emotionen gegenseitig mehr verunsichern als stärken. Wenn das gelingt, hindern uns die gesundheitli­chen Risiken momen­tan am persönlichen Austausch. Und wann wäre der wichtiger als gerade jetzt? Wann könnte di­rekte und sinnlich wahrnehmbare Kommunikation von noch zentraler Bedeutung für alle Hand­lungs- und Verarbeitungsoptionen sein? Es verlangt höchste Kreativität dieses gefährliche Manko zu kompensieren. Und letzt­lich drittens, stehen uns gemeinsame, durchgängig wegweisende und verändernde Perspektivdiskussionen ins Haus. Die Gestaltung der näheren und weiteren Zukunft unserer Projektkonzepte werden neu jus­tiert und ggf. ausgerichtet werden müssen. Ob wir es ignorie­ren oder angehen wollen, ein bruchloses Weitermachen wird es nicht geben. Und wenn doch für meine Gruppe, dann sicher nicht für das Nachbarprojekt.

Wir externe Berater*innen wissen gerade genauso wenig erfolgsverdächtige Wege, au­ßer das Pflas­ter der staatlichen Soforthilfen als Erste Hilfe. Wir wissen ja noch nicht einmal, welcher gesellschaftli­che und marktwirtschaftliche Rahmen uns zukünftig erwarten wird.

Es kann deshalb jetzt nur die Stunde der solidarischen und kollektiven Vernetzung, der Kooperation und des intensiven Austausches miteinander schlagen. Auch wenn seit vielen Jahren alltäglich wirk­same und belastbare Strukturen zwischen Projekten häufig sträflich vernachlässigt worden sind. Jetzt sind sie nicht länger das Freizeithobby einzelner interessierter Kollektivist*innen oder ein beliebi­ger zusätzlicher Termin. Kein Projekt wird mit der Situation alleine sinnvoll und in solidari­scher Verantwortung klarkommen. Projektspezifische Lösungen erfinden, Solidarstrukturen kreie­ren, einzelne Projekte ihre Weiterexistenz sichern, interne Diskussionen ohne Eskalation führen, Ressourcen solidarisch nutzen, Ratschläge geben bzw. einholen und letztlich politisches Handeln. Dazu gehört eine verlässliche und verantwortliche Verbundenheit.

Und die wird mit darüber entscheiden, ob SARS-CoV-2 letztlich ein repressiver oder ein emanzipativer Virus ist.