Es läuft doch eigentlich ganz gut…
06.10.2013Ja, auch Projektgruppen, Hausgemeinschaften, Kollektivbetriebe oder Kommunen können unvermittelt in eine Midlife-Crisis geraten.Und mehr noch, mit ihr sogar chronisch leben lernen.
Besonders gerne in langlebigen und langjährigen Gemeinschaften schleicht sich gelegentlich der „Wurm“ ein. Es wabert dann nicht nur zeitweilig schlechte Stimmung durch das Projekt, sondern anhaltende Unzufriedenheit Einzelner und eine gewisse Resignation. Nicht selten hat sich u.a. stillschweigend eine eingeschliffene Rollen- und Arbeitsverteilung niedergelassen zwischen den „Mutigen“, den „Eifrigen“, den „Stillen“, den „Nach-außen-orientierten“, den „Vorsichtigen“, den „politisch Anspruchsvollen“, den „Sorgfältigen“, den „Pragmatischen“. Und es gibt sogar einige Gruppenmitglieder, die schon längere Zeit kaum, ungern oder überhaupt nicht mehr miteinander sprechen wollen oder können.
Als externe Begleiter_innen treffen wir bei einigen lange bestehenden Projekten auf einen Kosmos, in dem alle kollektiven Satelliten scheinbar beständig, beharrlich und berechenbar ihre Bahnen ziehen, das ganze System als sehr stabil und nicht wegzudenken erscheinen will. Die anfänglichen Ziele, einen funktionierenden Initiativ-Laden, Betrieb oder eine Wohngruppe zu etablieren scheinen erreicht und gleichzeitig scheint sich das nach vielen Jahren und unter großen Mühen Erreichte fast wie ein belastender Deckel auf die ganze Gruppe zu senken.
Was ist passiert? Nichts Außergewöhnliches, keine Katastrophen oder unüberwindbare Hindernisse, kein manifester offener Streit und noch nicht mal ökonomische Abgründe. „Nur“ das machbar Mögliche scheint schlicht erreicht zu sein.
Es ist für viele beruhigend, dass nicht ständig neue Herausforderungen oder Veränderungen Nerven und Kräfte strapazieren. Andere sind froh ungeliebte Arbeiten, wie z.B. die Buchhaltung oder den Ämterkram nicht am Hacken zu haben, und einige entdecken wieder, dass es ein attraktives Leben auch außerhalb des Projektes gibt. Es wurde gemeinsam Großes erreicht, gleichzeitig pflastern viele Kompromisse diesen Weg, etliche Träumchen sind zerplatzt oder in weitere Entfernung gerückt und die individuellen Wünsche nur teilweise erfüllt.
Könnte das als Zustand der Ernüchterung bezeichnet werden? Das gemeinschaftliche Schiff fährt – doch in stabiler Seitenlage – mehr scheint nicht drin zu sein …
Viele Beratungen haben gezeigt, dass dieser Punkt langlebige Projekte mehr oder weniger deutlich irgendwann heimsucht. Das ist normal.
Doch bevor sich die Beteiligten den Zustand gegenseitig ankreiden, möglicherweise jemand stellvertretend zum Sündenbock küren oder sich ersatzweise Meinungsfronten verfestigen, sind Impulse für eine rechtzeitige persönliche und kollektive Bestandsaufnahme dringend nötig. Eine bewusste Auseinandersetzung über diese Entwicklung ist der erste wichtige Schritt und das Einräumen von Platz im Alltag für einen ehrlichen Austausch darüber untereinander. Wie meistens hilft vor allem die mutige und unbequeme Suche nach den aktuellen Unterschieden der Beteiligten weiter. Ein Gemeinschaftsprojekt ist kein automatischer Selbstläufer, sondern wird durch die Individuen und ihre Motive immer wieder angetrieben und belebt – oder auch nicht. Und diese sollten die Entscheidung über ihr Tun behalten und es wiederholt prüfen.
Die Konsequenzen aus dieser „internen“ Erforschung sind mitunter überraschend, öffnen neue Wege oder motivieren bzw. erfordern Veränderungen …doch darüber ein anders Mal mehr …