Die Verantwortung nehme ich mir….
10.01.2024Eine Besonderheit an Kollektiven ist, dass wir gemeinsam für das Ganze verantwortlich sind. Und dass uns diese Verantwortung niemand abnimmt. So die Idee zumindest: wir machen das gemeinsam, und selbstbestimmt. Wir bauen etwas zusammen auf, z.B. einen Betrieb, und entscheiden dabei selbst über Arbeitszeiten, Löhne und Inhalte.
Die Begriffe selbstbestimmt und gemeinsam stehen hier scheinbar im Widerspruch: Mache ich das jetzt, weil ich es alleine bestimmen kann oder trage ich meinen Teil dazu bei, dass wir das gemeinsam bestimmen können? Dies auszuloten ist immer wieder die Aufgabe von Gemeinschaftsprojekten.
Wenn „selbst“ dabei als „alleine“ ausgelegt wird, oder als „nur für mich“ führt das regelmäßig zu Konflikten und zu Problemen für das gesamte Projekt. Dann bleibt etwa bei der Selbstbestimmung über Arbeitszeiten und Urlaube, unberücksichtigt, ob es während der eigenen Abwesenheit noch genügend andere Schultern gibt, auf die anfallende Arbeitsaufgaben verteilt werden können.
Und wenn beim „selbst entscheiden“ nicht bedacht wird, was das Gesamtprojekt gerade braucht, bleiben womöglich Aufgaben die im Betriebsablauf wichtig sind, auf der Strecke. Ein häufiger Knackpunkt sind hier z.B. die Buchhaltung, bzw. die Finanzplanung. Aufgabenbereiche, die ohnehin oft chronisch unterbesetzt sind, weil viele vor dem Umgang mit Zahlen, aber auch vor der Verantwortung, zurückschrecken. Die Verantwortung den Überblick über die Finanzen zu behalten,
Die Gründung von Kollektiven wird uns gegenüber oft damit begründetviel selbst bestimmen, gestalten und entscheiden zu können. Genauso oft wird sie auch damit begründet, dass niemand die Verantwortung für den Betrieb alleine tragen will oder muss. Und das ist allzu verständlich, da sich mit der Gründung oft in neue noch unbekannte Aufgabenbereiche vorgewagt wird. Aber genau das ist eine Stärke selbstorganisierter Projekte: gemeinsam etwas auszuprobieren, was jede/jeder alleine nie machen würde.
Die Annahme, dass die Gruppe dann davor schützteine unüberschaubare und ungewohnteVerantwortung tragen zu müssen, ist ein Trugschluss. Gemeinsam Verantwortung für das Ganze des Projektes zu übernehmen, heißt vielmehr, dass j jede Person bereit ist – mit den anderen zusammen Verantwortung für das Ganze zu übernehmen. Das kann sich in finanziellen Beiträgen ausdrücken oderdarin, das finanzielle Risiko mitzutragen oder über Jahre verbindlich Zeit und Engagement zu investieren.
Was es braucht, um Verantwortung zu übernehmen und in welchem Rahmen es möglich ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Unter anderem von den verschiedenen Privilegien über welche die Kollektivst*innen verfügen, oder eben nicht: Papiere, Vorkenntnisse, Sprachkenntnisse….
In Gemeinschaftsprojekten muss jede*r Einzelne immer wieder für sich selber gegeneinander abgewiegen : Geht das über meine Grenzen? Hält das Gemeinsame es aus, wenn ich das jetzt nicht mache? Was brauche ich, um es machen zu können? Dafür braucht es einen Überblick, gute Kommunikation, gemeinsame Planung und Zeit und Raum, um über Zeitressourcen, Arbeitsteilung, Belastungsgrenzen und persönliche Vorstellungen zur Arbeit im Gemeinschaftsprojekt zu diskutieren. Und dafür braucht es Transparenz z.B. über alle Arbeitsabläufe, über die Finanzen und über Kommunikationswege nach innen und nach außen. Damit viele Köpfe zusammen dass Ganze mitdenken können.
In dem Sinne: Nicht niemand ist verantwortlich, sondern alle.