AGBeratung

…bis der nächste Konflikt uns scheidet?

01.02.2015

Für die persönliche Mitarbeit in einem Gemeinschaftsprojekt gibt es keine zeitliche Garantie. Oftmals gilt der Grundsatz: …..bis der nächste Konflikt euch scheidet, oder?

Selten wurden jemals bei Gründung oder Eintritt in ein Projekt Versprechungen über die Dauer der Mitarbeit oder des Zusammenwohnens verlangt. Es war sogar lange Zeit noch nicht einmal Thema. Denn Ende der 70iger bis in die 90iger Jahre waren diese kollektiven Versuche für viele Aktive der einzige Weg, die einzige Alternative etwas anderes zu versuchen, den gesellschaftlichen vorgeschriebenen Lebens- und Arbeitsweg zu verlassen und eigene Spuren sichtbar zu hinterlassen: we want the whole bakery, not only one cake! So wurden in dieser Zeit unzählige Betriebe, Häuser, Kneipen, Kommunen, soziale Vereine, Kanzleien, Praxen, usw. in Deutschland gegründet, mit hohen inhaltlichen Ansprüchen und ohne Limit, auch mit keinem zeitlichen, d.h. unausgesprochenen mit persönlichem Open End. Von denen viele bis heute bestehen.

Vermehrt ab den 2000er Jahren begegnet uns in den Beratungen durchgehend ein verändertes Phänomen. Speziell in der Gründungsphase von Projektvorhaben, wenn die persönlichen Ressourcen für die Realisierung festgestellt werden, berichtet ein nicht unerheblicher Teil der Versammelten von Anfang an ihre begrenzten Perspektiven für die gemeinsame Sache. Denn es wird gerade daneben auf ein gutes Jobangebot gewartet, eine Bewerbung für einen Wunschstudienplatz läuft parallel, ein längerer Auslandsaufenthalt ist in Vorbereitung, der aktuelle gute Vollzeitjob wird demnächst örtlich verlagert und lässt ohnehin wenig Zeit, das Zusammenziehen mit der Freundin, ein Kinderwunsch mit Leben auf dem Lande, die gleichzeitige Mitarbeit in einem anderen Projekt, u.v.a.m. sind die persönlichen Planungen. Das alles verbunden mit Ortswechseln und einem Wiederausstieg aus dem Vorhaben. Das Leben ist nun mal bunt, so soll es auch sein und bleiben. Und vor allem sollen möglichst viele Bedürfnisse der allseits entwickelten Persönlichkeit eine Entsprechung finden.

Es ist ein biographischer und mentaler Zwiespalt zwischen erforderlicher Festlegung und Einlassung in Gruppen einerseits und dem Erhalt einer möglichst großen individuellen Entscheidungsfreiheit andererseits. Auch nicht besonders sensationell neu, doch die erkennbaren Begrenzungen gleich zu Projektbeginn haben zunehmend enorme und prägende Auswirkungen auf den weiteren Verlauf. Nicht in jeder, doch in vielen Gruppen treffen wir als Berater_innen nach einem Jahr unverändert spannende und engagierte, jedoch überwiegend neue Gesichter an. Wenn die Gemeinschaft diese erste Welle an Fluktuation überhaupt überlebt, dann ist das noch die erfreuliche Variante im Gegensatz zu Streit oder zum gänzlichen Einschlafen.

So ist eine Zurückhaltung bei internen verbindlichen Vereinbarungen spürbar: ich kann nicht Verantwortung von anderen verlangen, wenn ich mich nicht selber binden lassen will. Oder genau das Gegenteil: alle denkbaren individuellen Risiken und Nebenwirkungen des Projektes sollen zu Beginn haarklein geregelt und möglichst ausgeschlossen werden. Dieser Zwiespalt setzt sich beim Umgang mit der Finanzierung, bei Kaufentscheidungen, langfristigen Investitionen, Übernahme von Verantwortung, Besetzung von Vorstandsämtern, usw. fort. Gleichzeitig sind jedoch sehr viele Menschen unterwegs auf der Suche nach einem passenden Ort, sind über vieles gut informiert, haben Gruppenerfahrung vorzuweisen, sind sehr motiviert, usw…..Und doch machen überwiegend die meisten Landprojekte durchgängig die gleiche Erfahrung bei ihren Kennlernwochen oder Tagen der offenen Tür: 100 Leute kommen, 5 fragen später noch einmal nach und bleiben tut niemand. Verhindert die Sorge, bei Festlegung anderswo etwas Spannendes zu verpassen, das Passende überhaupt zu erkennen?

Diese vermehrt anzutreffende Ausgangslage wird in Gruppen selten konsequent diskutiert und adäquat beim Aufbau und der Struktur berücksichtigt. Viele wollen von der Suppe löffeln, doch nur wenige wollen sie rühren? Der Merksatz eines unserer erfahrensten Mitstreiter wird doch nicht das letzte Wort sein?

Wir haben keine Ahnung, wer diese Kolumne überhaupt liest und ob sie auf Interesse stößt. Doch bei diesem Thema sind wir auf einen lebendigen Diskurs angewiesen und wären sehr gespannt…..

Meinungen & Erfahrungen bitte an: agb@agberatung-berlin.org