Alles nicht so einfach….. auch von außen betrachtet.
07.10.2019Von außen und mit ausreichendem Abstand gesehen, sieht vieles leichter und meistens wesentlich übersichtlicher aus. Wir sind alle ausgewiesene Expert*innen für die Angelegenheiten von Dritten. Und uns fallen fast immer treffende Lösungen für die Probleme anderer Menschen und Gruppen ein. Oftmals im Gegensatz zum Gemeinschaftsprojekt, in dem wir selber stecken.
Auch wir externe Berater*innen arbeiten mit diesem Vorteil, keine eigenen Aktien am Geschehen zu haben. Und somit nicht Teil der Gruppendynamik. Wir sind keinesfalls schlauer als die Gruppenmitglieder. Vielmehr nutzen wir vor allem aus ‚sicherer’ Entfernung diesen Reichweitenvorteil unseres Blickwinkels. Das alleine reicht nicht immer aus, doch können wir den Gruppen ihre Situation dadurch unverstellt spiegeln. Nicht selten erkennen Gruppen dann selber aus einer veränderten Perspektive Wege für ihre weitere Entwicklung. ‚Na, da hätten wir ja auch selber drauf kommen können!’ So hört sich wiederkehrend das Fazit an. Die Ideen liegen nämlich oft schon auf der Hand bzw. sind in der Gruppe bereits ‚vorhanden’.
So kann es gehen, wenn Betriebe, Vereine, Initiativen oder Gemeinschaften bei uns um Beratung anfragen. Wenn es gut läuft. – Muss es aber nicht und dann reicht der Abstand zum alltäglichen Geschehen allein nicht aus. Fachwissen, Erfahrungswerte und kreative Vorschläge werden zusätzlich erforderlich und sind unverzichtbar. Besonders bei komplexen Frage- oder Problemstellungen sind vielfältige und differenzierte Methoden und Herangehensweisen gefragt.
Die Beratungswünsche zeigen sich deshalb sehr unterschiedlich. ‚Wir haben nur mal ne kurze Frage’, so beginnen sie z.B. durchaus typisch. Nach dem Motto: ‚Eigentlich wissen wir schon Bescheid und brauchen lediglich ein paar Tipps’. Der Tenor lässt vielmals eine gewisse Vorsicht beim Gang zur Rateinholung erkennen. Das ist völlig akzeptabel, denn das eigene Können und die Autonomie sind das Rückgrat jeder Gemeinschaft.
Gleichzeitig ist es auch hinderlich, wenn die Bedarfe nur sehr zögerlich und vorsichtig vorgebracht werden. Das liegt u.a. daran, dass die ganz konkreten Anliegen gruppenintern sehr unterschiedlich gesehen werden. Oder mit Absichten verknüpft sind, die nicht dem Gruppen-Mainstream entsprechen bzw. eigene ‚Schwächen’ und Widersprüche präsentieren würden.
So ist z.B. der Wunsch nach Gesprächsmoderation eines Plenums, eines Klausur- oder Thementages, o.ä. sehr beliebt. Das kann ja eigentlich nie schaden, wenn eine Diskussion ‚geführt’ und gezielt eingegrenzt wird, oder? Durcheinanderquatschen kann jede*r auch alleine. Bei näherer Betrachtung hat dieses neutrale gesprächstechnische Hilfeersuchen nicht selten einen subversiven Tiefgang. Moderation hört sich scheinbar ‚harmloser’ an als etwa Supervision, Mediation oder gar Schlichtung bzw. Schiedsverfahren. Im Beratungsalltag begegnen uns mehrheitlich Konflikte und Problemlagen, die aber genau mit diesen Methoden wirksam angegangen werden könnten und auch sollten. Wir Externe müssen also solche ‚moderierenden’ Bitten vorher sehr sorgsam abklären, oft zum Unwillen der Gemeinschaften. Zu leicht tappen wir sonst in die Falle, dass sich ein Gruppenteil durch die sogenannte Moderation eigentlich Rückenwind für ihre Position erhofft. Oder den Wortmächtigen dadurch mal Paroli bieten will. Oder die Meinung der ‚Jungen’ gegen die ‚Alten’ endlich mal zur Geltung kommt. Oder ein schwelender, bedrohlicher Konflikt von außen unausweichlich auf den Tisch gepackt bzw. am besten gleich stellvertretend ausgefochten wird. Oder, oder, oder…. Kein Projekt sollte damit fahrlässig allein gelassen werden. Nur das entsprechend wirksame ‚Heilmittel’ schmeckt den Gruppen nicht immer…gleich.
Eine der vielen Besonderheiten bei der externen Beratung von selbstverwalteten und gleichberechtigten Ansammlungen: es dürfen nicht alle Wünsche erfüllt werden. Jedenfalls wenn sinnvolle Beiträge von außen dauerhaft die eigenen Kräfte stärken sollen. Viele Mitstreiter*innen aus den Projekten verlassen stöhnend den Beratungsraum und raunen beim Rausgehen: jetzt haben wir noch mehr Fragen als vorher! Das ist anstrengend, wenn doch eigentlich Erleichterung und Klarheit erhofft wurde. Es bleibt der gemeinsame Trost: Gruppenmitgliedern wie auch den Berater*innen ergeht es gleich. Hat ja auch niemand behauptet, Selbstorganisation würde immer spaßig sein…
Wilfried Schwarz