Alles gut gemeint!
26.06.2020„….sehr interessant, ich weiß aber nicht, ob ich das schaffe…“. Wer hört solchen Satz nicht mehrmals jeden Tag oder sagt ihn selber. Bei der Einladung zu einer Diskussion über die aktuelle rechtslastigen Gesellschaftsentwicklung hagelt es z.B. gerade wieder mal diese Antworten: ja, total wichtiges Thema, eine absolut nötige Auseinandersetzung, aber ich ……… weiß noch nicht!
Selbstverständlich können wir nicht allen lockenden Angeboten und wichtig erscheinenden Einladungen folgen, der Tag hat auch im selbstverwalteten Leben nur 24 Stunden. Oder kann er selbstorganisiert doch mehr haben? Auf alle Fälle scheinen sie in vielen Projekten, Betrieben, Häusern oder Initiativen für die ‚eigentlich’ anstehenden Aufgaben nicht zu reichen. Notorisch bleibt einiges auf der Strecke, hinterlässt oft ein Gefühl der Unfertigkeit. Und daraus wächst ein täglicher Antrieb, eine permanente Anforderung oder ein persönliches Bedürfnis das aufzuholen, es doch zu schaffen. Nicht wenige sprechen von einem alltäglichen belastenden Druck. Besonders dann, wenn sie das rückblickend von außen bewerten.
Keine Frage, um z.B. einen Kollektivbetrieb zu erhalten, ein solidarisches Gemeinschaftsleben zu realisieren oder ein nichtkommerzielles Bildungsangebot zu entwickeln, braucht es viel Energie und Zeit. Und einen Schuss Wahnsinn, denn wir müssen dabei gelegentlich die eigenen persönlichen Grenzen überschreiten. Dazu wird in der Regel individuelles Neuland betreten, treiben mehr die Hoffnung und der Wunsch und weniger gelebte Erfahrung und Strategie voran. Das setzt Kräfte, Begeisterung, Kreativität und Hartnäckigkeit voraus und gleichzeitig auch frei, ohne die so viele phantastische Projekte und politische Aktionen nie entstehen würden.
Wenn ich das alles vorher gewusst hätte! Es hilft nichts, wir müssen vorwärts leben und können vieles erst rückblickend verstehen und einordnen. Doch schon vorher ist uns allen bekannt, dass wir nur eine zeitlang Energie haben, um auf der Überholspur zu leben und zu arbeiten. Die vielfältigsten Herausforderungen und Ansprüche, es anders zu machen, zu zeigen, dass es besser geht. Das alles beschert nicht selten einen voll gestopften Terminkalender, im Voraus verplante Wochen, viele stundenweise getaktete Tage und unvorhersehbare Belastungen. Und gerade so wollen wir nicht leben: tickend wie ein Uhrwerk, alltäglich funktionierend, effektiv, möglichst gewinnbringend und wahlweise von Notwendigkeiten oder selbst auferlegten Pflichten dominiert. Selbst mit einem doppelten Salto ist letztlich aus der Milchstraße kein Käse zu machen. Viele Alltagsbeschreibungen ähneln verdammt sehr den ethischen Durchhalteparolen meiner Kindheit: Arbeit macht das Leben süß… und hat noch keine*n umgebracht, Müßiggang ist aller Laster Anfang und als Krönung: erst die Arbeit – dann das Vergnügen! Wen wundert es da, dass Selbstverwaltung oft unter dem Stichwort ‚Selbstausbeutung’ zu finden ist.
Bei aller Leidensfähigkeit und den Herausforderungen ein Leben, einen Alltag, eine Arbeit gegen den Strom zu erkämpfen: wenn wir uns selber auf diesem Weg dem täglichen Hamsterrad der herrschenden Verwertungslogik angleichen, werden wir letztendlich auch kein anderes Ergebnis erzielen können. Auch wenn wir es in allerbester Absicht – im Dienste der Weltverbesserung – tun. Jedenfalls kein Ergebnis, was den Titel ‚gutes Leben’ tragen darf. Der Kapitalismus zeigt sich nicht nur in der Profitgier, sondern wirkt auch auf die Strukturierung unseres Alltages. Wir müssen uns darin gegenseitig bestärken, dass unsere Wichtigkeit nicht durch die Zahl der besuchten Demos, der Polittermine in unserem Kalender, der Schichten im Kollektiv oder Kontaktdaten im Handy definiert wird. Das Recht auf Faulheit sollten wir uns nicht nehmen lassen. Willst du kämpfen – dann mach’ es dir bequem! Wem auch immer wir diese kluge Feststellung zu verdanken haben, sie ist zutreffend, denn in der Ruhe liegt bekanntlich die Kraft. Und die brauchen wir dringend!