AGBeratung

Kollektiv…… wird manchmal schief

24.09.2024

Wir sind alle gleichberechtigt, wir besprechen alles zusammen, wir treffen gemeinsam Entscheidungen, wir tragen miteinander die Verantwortung für unser Projekt und sind gegenseitig solidarisch! So lauten die ewigen Grundfeste selbstverwalteter, kollektiver Vorhaben. Und die sind unverändert seit Jahrzehnten völlig richtig.

In unserem Beratungsalltag wird uns dieser Anspruch von allen Gruppen durchgängig bestätigt. Gleichzeitig liefern uns – als externe Berater*innen – bestehende Mängel und Probleme damit im Projektalltag kontinuierlich sehr viele Aufträge. Ein Anspruch ist und bleibt ein Ziel, ist keine Gewissheit und schon gar keine dauerhafte Wirklichkeit….leider!

Das ist keine sensationelle Feststellung und sehr viele Mitglieder werden ihr, mit Blick auf ihre eigene Gruppenpraxis, zustimmen. Und das hat sehr unterschiedliche und tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung und Prozesse. Sie betreffen vor allem länger bestehende Gemeinschaften, u.a. Wohnprojekte, Gruppen im Bildungsbereich, in der Landwirtschaft, etc. In besonderer Weise sind Arbeitskollektive davon betroffen. Und genau diese Auswirkungen sollen heute näher betrachtet werden.

Seit vielen Jahren können wir beobachten, dass die kollektiven Kerne personell tendenziell schrumpfen. Während die Zahl der zeitweisen Zuarbeiter*innen und sog. Aushilfen absolut und relativ deutlich wächst. Viele neue Mitarbeiter*innen treten nicht mehr verbindlich ins Kollektiv ein, werden keine verantwortlichen und haftenden Mitstreiter*innen. Nicht unbedingt selten arbeitet eine handvoll Kollektivist*innen mit einer Mehrheit von Angestellten im Betrieb. Bis dahin, dass nur noch zwei/drei Gesellschafter*innen als Minderheit tätig sind. Und dann der Titel ‚Kollektivbetrieb’ abgelegt wird bzw. sich faktisch erledigt hat. In Einzelfällen müssen Betriebe mangels Kollektivnachwuchs schließen.

Es ist unschwer zu sehen, dass eine von Kollektivpflichten ‚befreite’ Mitarbeit in einem Kollektiv sehr attraktiv sein kann: es herrscht ein freundschaftlich/freundliches Betriebsklima, es wird keine Festlegung oder finanzielle Mitverantwortung verlangt, keine Teilnahme an schwergängigen Plenas, eine faire und verlässliche (wenn auch nicht stets üppige) Bezahlung, kaum Kündigungsgefahr, individuelle Wünsche nach Arbeitsbedingungen werden bereitwillig erfüllt, usw. Und zusätzlich bleibt, auch ohne Kollektiveintritt, ein großer Einfluss auf alle Entscheidungen. Denn ohne sie oder gegen ihre Interessen geht gar nichts mehr…..

Im Ergebnis können die verbliebenen wenigen Kollektivist*innen ihrer zentralen Rolle nicht mehr entkommen. Sie sind und bleiben abhängig und umgeben von einer fluktuierenden Schar zeit-, teil- und phasenweiser Mitstreiter*innen. Ein sich selbst bestätigender und kaum noch zu verändernder Kreislauf.

Was uns immer erneut erstaunt: Es gibt kaum ausgewiesene Diskussionen über diese Entwicklungen. Entsprechend auch meistens keine Analyse dieser Veränderungen. Und erst recht keine erkennbareoder wirksame Strategie im Umgang im kollektiven Alltag damit.

Haben sich Lebensentwürfe der Menschen so sehr verändert? Zwingen die Markt- und Produktionsbedingungen zu anderen Betriebsstrukturen? Sind Kollektivbetriebe nach den eingangs genannten Grundsätzen heute Fossile der 80iger?

Das sind alles vollkommen berechtigte und wichtige Fragen. Wenn wir sie uns ehrlich, mit Selbstkritik und realistischer Einschätzung stellen, haben wir auf alle Fälle Chancen, um fällige Veränderungen gezielt anzusteuern und zu erproben. Und angemessene, wieder mehr solidarische und kollektive Strukturen zu entwickeln und auszubauen. Und die gibt es natürlich für jeden Betrieb. Für alle anderen Gemeinschaftsprojekte natürlich auch! Also, an’s Werk!