AGBeratung

Unserer Erfahrung nach eignen sich Binnenvertrag und Schiedsvereinbarung, um dazu beizutragen, selbstverwaltete Strukturen verbindlich zu regeln und auch im Fall eskalierter Konflikte zu schützen. Sie ergänzen damit den Kern von Kollektiven: das auf Vertrauen basierende kooperative Handeln aller Einzelnen.

Sinn, Ziel, Zweck und Form von Binnenverträgen1

  • Binnenvertrag als lebendiges Dokument

Wie der Name es schon sagt, ist ein „Binnenvertrag“ eine interne Vereinbarung. Er dient dazu, innerhalb des Kollektivs verbindliche Absprachen über die Regeln der Zusammenarbeit zu treffen: Was sind unsere Ziele, wie treffen wir Entscheidungen, teilen wir Arbeit und Geld und Verantwortung, lösen Konflikte, trennen uns, teilen die Haftung intern etc.

Es ist dabei nicht der Vertrag an sich, durch die Klarheit entsteht darüber, was die geteilten Werte, Ziele und die gewünschten Regelungen sind, in denen diese Werte umgesetzt werden sollen. Klarheit entsteht über die gemeinsame Aushandlung/Diskussion. Alles zu formulieren und aufzuschreiben und dann auch zu unterschrieben, dient als Werkzeug, um Missverständnisse aufzuspüren, konkret zu werden und sich zu den Vereinbarungen zu bekennen.

Und wenn sich dann im Laufe der Zeit die Erinnerungen verändern oder auseinander gehen, dient das Aufgeschriebene als gemeinsamer Bezugspunkt. Und besonders im Konfliktfall dient es als Korrektiv und Entscheidungsgrundlage. (Vor allem im Zusammenhang mit einer Schiedsvereinbarung). Und er hilft natürlich enorm bei der Vermittlung der Kollektivverfassung an neue Mitglieder.

Entsprechend nützt ein Binnenvertrag nicht viel, wenn er in der Schublade liegt und vergessen wird, sondern vor allem dadurch, dass ihn alle Kollektivist*innen kennen, er wiederholt besprochen und damit präsent gehalten wird.

Dabei kann er an aktuelle Veränderungen angepasst werden und so mit dem Kollektiv wachsen und sich verändern oder das kollektive Handeln kann wieder dem Binnenvertrag angepasst werden und sich damit treu bleiben.

  • Die freie Form des Binnenvertrags

Bei der Form des Binnenvertrags ist es daher vor allem wichtig, dass sie dem jeweiligen Kollektiv entspricht. Sie soll von allen Beteiligten verstanden werden und tauglich für die tägliche Praxis sein. – dazu müssen die Regelungen einfach, klar, konkret und verständlich formuliert sein. Es ist weder nötig noch zweckdienlich, sie in einer juristischen Sprache zu verfassen. Sie sollen nicht von Anwält*innen, sondern von uns selbst verstanden werden. Sie dienen nicht dazu, sich gegenseitig zu verklagen, sondern miteinander die Regeln der Kooperation zu vereinbaren.

Oft wird Jurist*innen eine besondere Kompetenz zugesprochen, wenn es um Verträge geht. Sie kennen sich allerdings hauptsächlich damit aus, was andere Jurist*innen brauchen, um vor Gericht gegeneinander verhandeln zu können – also mit den Spitzfindigkeiten der Juristerei, in einem Rechtssystem, in dem es darum geht, sich gegeneinander durchzusetzen. In den Verhältnissen, in denen es einen Interessenwiderspruch zwischen Chefs und Angestellten gibt, kann das als Kampfmittel sinnvoll sein. Das gibt es aber in Kollektiven nicht. Da kommen wir nicht weiter, wenn wir unsere Zusammenarbeit als ein Gegeneinander organisieren.

  • Der Binnenvertrag als zivilrechtlicher Vertrag

Falls es eine Rolle spielt: der Binnenvertrag ist im Rahmen des in Deutschland geltenden Zivilrechts ein zulässiger und bindender Vertrag. Er bietet vor allem in Kombination mit einer Schiedsvereinbarung eine rechtsverbindliche Grundlage für eine – sogar vollstreckbare Lösung von Konflikten (wobei sich dann allerdings die Frage stellt, ob Kollektivist*innen wirklich zu diesem Mittel greifen wollen). .

Entsprechend der Vertragsfreiheit in Deutschland können Personen Verträge abschließen mit wem, über was und in welcher Form sie wollen. Sofern es nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstößt oder sittenwidrig ist. Ein Binnenvertrag ist im Grunde ein interner GbR-Vertrag (GbR-Binnengesellschaft).

Es gibt in Deutschland keine Rechtsform für Kollektive. Jede der verfügbaren Rechtsformen fordert bestimmte Strukturen, die einem kollektiven Miteinander widersprechen. Während der Gesellschaftsvertrag oder die Satzung der GmbH, Genossenschaft etc. das Verhältnis Dritten gegenüber regeln kann – vor allem das dem Staat gegenüber (der ein Interesse an Steuereinnahmen hat), kann der Binnenvertrag das Innenverhältnis regeln. Der Binnenvertrag dient hier dazu, die eigentliche Verfassung des Kollektivs darzustellen. In diesem Sinne kann er dann als das wichtigste Dokument des Kollektivs gelten.

Der Binnenvertrag spielt weder dem Finanzamt gegenüber noch Prüfverbänden noch irgendwelchen Dritten gegenüber eine Rolle. Das Kollektiv hat es vollständig in der Hand, wer ihn zu Gesicht bekommt. Und es bleibt selbstbestimmt, wie ein Binnenvertrag verfasst wird, was er beinhaltet und wie und ob er sich ändert. Einzig, wenn das Kollektiv beschließt, ein externes Gremium hinzuzuziehen, wird er von anderen beurteilt.

Falls Kollektivmitglieder entscheiden, sich gegenseitig vor Gericht zu verklagen – und es keine Schiedsvereinbarung gibt, die das verhindert – kann es zwischen einem Binnenvertrag und einem anderen Gesellschaftsvertrag zu Konflikten kommen. Ein Gericht kann entscheiden, Regelungen aus dem Binnenvertrag nicht, die Regelungen aus dem GmbH-Vertrag aber doch anzuerkennen.

Allerdings zwingt einen niemand, gegeneinander vor Gericht zu gehen. Auch für hocheskalierte Konflikte gibt es noch andere Möglichkeiten, nämlich eben das Schiedsgericht.

Schiedsvereinbarung und Binnenvertrag – Füreinander statt gegeneinander

Konflikte gehören dazu. Überall, wo Menschen miteinander etwas tun, kommt es hin und wieder zu Reibungen, Irritationen, Diskussionen, Streit. Die Bedürfnisse von Menschen ändern sich im Laufe ihres Lebens und somit im Laufe der Projektentwicklungen. Und ohnehin kann das zukünftige Geschehen nicht lückenlos in eindeutigen Regeln vorweggenommen werden. Einiges, was erst passend erscheint, passt dann doch nicht (mehr).

Konflikte sind wichtige Hinweise auf Veränderungsbedarf. Insofern kommt es nicht darauf an, dass wir Konflikte vermeiden, sondern dass wir uns entscheiden, wie wir mit ihnen umgehen wollen.

Für viele Gruppen gehört es zum Grundverständnis, nicht gegeneinander vor Gericht gehen zu wollen. Sie wollen Konflikte selbstverantwortlich und so miteinander lösen, dass es den Bedürfnissen aller gerecht wird. Wenn nötig mit der Unterstützung Dritter (Mediation etc.).

Das hat gute Gründe: Kollektive basieren auf freiwilliger und damit grundlegend gleichberechtigter Kooperation, die auf Vertrauen basiert.

Kapitalismus und Justizsystem basieren auf Kontrolle und dem Durchsetzen von Interessen gegeneinander. Leitend sind das Misstrauen und das Einsetzen von Macht gegeneinander, also Zwang, der durch Ungleichheit möglich wird. Und entgegen kollektiver Logik basiert das Recht in Deutschland im Moment zentral auf dem Eigentumsgedanken.

Dennoch: Wenn Konflikte eskalieren, kann es passieren, dass sie auch mit Unterstützung nicht mehr gelöst werden können. Und wenn Kollektivist*innen dann gefühlt mit dem Rücken an der Wand stehen, liegt es auf einmal doch nah, auf die staatliche Autorität zurückzugreifen und sich entgegen ursprünglicher Überzeugungen vor Gericht zu verklagen.

Das Schiedsverfahren bietet hier einen Ausweg an, den Konflikt in einer Art zu beenden, die den Werten des Kollektivs – wie sie aus Selbstverständnis, Binnenvertrag, Protokollen etc abzulesen sind – entspricht. Es schützt das Kollektiv vor einem langen zermürbenden Rechtsstreit und stärkt die Binnenvereinbarungen.

Denn: wenn eine Schiedsvereinbarung existiert, wird jedes Gericht den Streitfall ablehnen – außer in den Fällen, in denen ein Schiedsgericht explizit nicht zulässig ist.

Damit schützt sich das Kollektiv selbst davor, sich entgegen früherer Absichten doch noch gegenseitig zu verklagen.

  • Schiedsverfahren als letztes Mittel

Das Schiedsgericht ist ein Verfahren der Zivilprozessordnung. Bei einem schiedsrichterlichen Verfahren wird eine abschließende und rechtlich verbindliche Entscheidung auf außenstehende Dritte delegiert. Das heißt, die Gruppe gibt ihre Autonomie ab und beauftragt ein Schiedsgericht, für sie zu entscheiden – daher sollte es immer nur am Ende stehen.

Ein Schiedsverfahren als ‘letztes Mittel’ schafft rechtsgültige und verbindliche Klarheit in all den Fällen, in denen die beteiligten Menschen ihre Möglichkeiten einer Konsensbildung vergeblich eingesetzt haben.

Das Schiedsgericht hat dabei die Aufgabe, eine Entscheidung im Sinne des Projektes zu treffen. Die Schiedsrichter*innen sind dabei keine Anwält*innen der Konfliktparteien, sondern des Kollektivs.

Das Kollektiv hat die Möglichkeit, in einer Schiedsordnung festzulegen, wie das Schiedsgericht zusammengesetzt werden soll und auf welcher Basis es entscheiden soll. Hier kommt dann der Binnenvertrag wieder ins Spiel. Je mehr verbindliche Informationen es gibt über die Grundlagen, Regeln, Vereinbarungen des Kollektivs, desto passendere Entscheidungen kann das Schiedsgericht treffen.

Die Schiedspersonen können frei gewählt werden, entsprechend den Bestimmungen, die das Kollektiv selbst in der Schiedsordnung festgelegt hat. Bei der Zusammensetzung des Schiedsgerichts hat es sich als hilfreich herausgestellt, wenn die Schiedspersonen ein juristisches Grundverständnis haben, aber sie müssen keine Jurist*innen sein, sondern vielmehr ein tieferes Verständnis von selbstorganisierten Strukturen und kollektiven Arbeitsweisen haben – denn der Konflikt soll ja vor allem nach der Grundlage, die sich das Kollektiv selbst gegeben hat, entschieden werden.

  • Wirkungsprinzipien in Konfliktsituationen

Das Schiedsverfahren stärkt die grundlegende Gleichheit in Kollektiven und hebt Handlungs- und Entscheidungsblockaden auf. Es ist ein strukturiertes und übersichtliches Verfahren, in dem jede*r gehört wird. Verdeckten Hierarchien durch Wort- und Meinungsführer*innen, informellen Chefs etc. wird dadurch entgegengewirkt.

Jede*r hat das Recht der Anrufung, ohne Konsens in der Gruppe. Es gibt keine Chance für das Aussitzen von Konfliktlagen (der mit dem dicksten Fell gewinnt).

Die Schiedsvereinbarung kann als Klausel in jeden Vertrag (Gesellschafts -, Binnenvertrag etc.) aufgenommen werden oder es kann eine Schiedsvereinbarung als eigenständiger Vertrag abgeschlossen werden.

In jedem Fall sollte unbedingt zusätzlich eine Schiedsordnung abgeschlossen werden, die eben u.a. Einberufung und Zusammensetzung des Schiedsgerichts und die Grundlagen für die Entscheidung (Bezug auf Binnenvertrag) festlegt.

Ausgenommen vom Schiedsverfahren sind das private Wohnrecht, Arbeitsrecht und Strafrecht, hier kann ein Schiedsspruch nicht vollstreckt werden, Kollektivmitglieder können hier von Rechts wegen nicht gezwungen werden, den Schiedsspruch anzuerkennen – sie dürfen sich trotzdem freiwillig dran halten.

Ein Gericht kann einen Schiedsspruch nur kippen, wenn ein Formfehler vorliegt – so wie bei jedem anderen Gerichtsentscheid auch.

Eingebaut in einen „Konfliktfahrplan“ kann ein Schiedsverfahren auch helfen, die Eskalation von Konflikten zu vermeiden. Denn Eskalation findet meist dann statt, wenn nichts geregelt ist, es keinen verlässlichen Pfad für den Umgang mit Konflikten gibt.

1Andere Begriffe, die dasselbe meinen: Statut, Vertrag zum Vertragen, Vereinbarungen.