Es fällt so schwer….
02.10.2016… bei anstehenden Entscheidungen oder alltäglichen Entwicklungen in Projekten und Gruppen auch mal NEIN zu sagen. Schlicht und ergreifend: Mit mir nicht! oder So nicht!, wenn es meine tiefe Überzeugung ist.
Warum ist das ein Thema, was uns als externe Berater_innen auffällt? Nun, weil wir wiederkehrend an den Folgen von Entscheidungen in Gruppen ‚herumdoktern’, deren ursprüngliches Zustandekommen uns niemand so richtig schlüssig begründen kann, die sich mehr scheinen eingeschlichen zu haben. Und selbstverständlich bohren wir da nach, besonders bei lästigen Nebenwirkungen.
Nicht selten kommt dabei ein ursprünglich ungelöster Grundsatzwiderspruch ans Tageslicht, der mit einem konstruierten Kompromissbeschluss überbrückt wurde. Oder der so lange ausgesessen wurde, bis die Macht des Faktischen die Entscheidung traf. Eine Reparatur wird so lange hinausgezögert, bis eine große Investition unvermeidbar ist. Ein persönlicher Konflikt wird so lange gedeckelt, bis eine_r ausschert oder etwa wenn akuter ‚Personalmangel’ die sorgsam entwickelten Einstiegskriterien einebnet. Die Liste ist beliebig verlängerbar: Es geht ja nicht anders!
Am häufigsten treffen wir jedoch auf Entscheidungen, die auf dem Mist einiger weniger gewachsen sind, meistens der Einflussreichen, Wortgewaltigen oder Erfahrenen, mit einer eher schweigsamen und abnickenden Mehrheit.
Diese Umgangsweisen sind auch selbstbestimmt und autonom, das gute Recht einer jeden Gruppe. Nur treibt diese scheinbar hergestellte Harmonie an anderen Stellen üble Scherze mit den Projekten, führt oftmals Regie hinter dem Rücken der Beteiligten. Dabei gibt es regelmäßig Stimmen in den Gruppen, die das Dilemma genauso erkennen und benennen.
Warum werden diese Signale so häufig überhört, warum fällt es so schwer eine abweichende oder widersprechende Meinung klar zu äußern? Uns begegnet da gleich ein ganzes Bündel von Faktoren, die mögliche Konfrontationen vorauseilend glätten. Hier einige Beispiele: Jeder auch nur spürbarer Gegensatz rüttelt am Gruppenzusammenhalt oder behindert besonders in der Gründungsphase das Zustandkommen eines Vorhabens. Das wird als bedrohliche Verunsicherung wahrgenommen. Den Wortmächtigen oder scheinbar Erfahrenen zu widersprechen fühlen sich viele nicht gewachsen und trauen sich keinen ernsthaften Disput zu, meiden das Gefühl der Unterlegenheit in einem heraufziehenden Streit. Vielleicht entspricht meine Meinung auch nicht dem politisch-moralisch linken Mainstream und mir droht die Beurteilung als wenig Standhafte_r. Auch die sog. Sachzwänge und ‚vernünftigen’ Schlussfolgerungen wirken lähmend und lassen viele verstummen. Und natürlich gibt es bei vielen Fragen keinen sinnvollen Kompromiss, somit bringt mich meine Meinung alleine ins Abseits. Diese Liste ließe sich verlängern, trifft jedoch immer auf den Kern: Eine klare Position oder Meinung hat Konsequenzen, wird ggf. als unsolidarisch gebrandmarkt, zettelt einen offenen Streit an, zieht Grenzen und trennt mich eventuell von meiner bisherigen Gruppe. Ja genau, das kann eintreten und will deshalb einerseits gut abgewogen sein, sollte nicht zu voreiligem oder kurzschlüssigem Handeln verleiten. Doch darf andererseits nicht überbrückbare Verschiedenheit nicht verdrängt werden. Sie ist Ausdruck der überlebensnotwendigen Dynamik in der Entwicklung von Gruppen und verbrieftes Persönlichkeitsrecht eines jeden Individuums: Veränderungen!
Nicht nur diese Problemlagen verschaffen den inzwischen gut ausgebildeten und erfahrenen Moderator_innen, Mediator_innen, Supervisor_innen, etc. nachwachsenden Themenstoff, was zunehmend in Anspruch genommen wird. Und zwar erfolgreich, denn etliche Gegensätze können dadurch aufgeklärt, geklärt und begehbar gemacht werden.
Doch jenseits aller Bemühungen um Verständnis, Achtsamkeit und Einigung gibt es Situationen, die nicht mehr zusammenmoderiert werden sollten, es für Gruppen sowie für Einzelne zukunftsträchtig ist, getrennte Wege zu gehen, Vorhaben zu beenden, ohne weiteren Kompromiss und Neues zu probieren. Auch wenn es verdammt schwer fällt und sich wie ein Scheitern anfühlen kann, es gibt keinen aufrechten Gang ohne ein gelegentliches und konsequentes NEIN!