Cocktail, nicht nur zur Happy Hour…
01.05.2015Die 10. Kolumne für die Contraste liegt vor euch und wie immer hoffen wir, unsere kleinen Einblicke in die Mühen der Selbstorganisation finden offene und interessierte Ohren. Doch ein lebendiges Feedback wäre uns lieber, das bekommen wir aber nur selten und recht individuell.
Und das hat wohlmöglich zumindest einen guten Grund. Nicht nur bei Neugründungen, im gleichen Maße auch bei länger bestehenden Gemeinschaftsunternehmungen, finden die einzelnen Mitstreiter_innen aus verschiedenen, ja manchmal sogar recht gegensätzlichen Motiven den Weg in selbstorganisierte Kollektive, Projekte, Initiativen oder Hausgruppen.
Das gemeinsam definierte und beschlossene Etikett für das Vorhaben ist zwar keine Mogelpackung, auch nicht die gelebte Praxis. Gleichwohl finden wir während der Diskussionen und Beratungen mit und in den Gruppen einen bunten Strauß von individuellen Beweggründen vor, warum jede/r gerade jetzt und genau dieses Projekt ausgewählt hat, dabei bleibt bzw. gründen will.
Es gibt z.B. den Wunsch nach Zugehörigkeit, Teil einer verlässlichen und kalkulierbaren festen sozialen Struktur mit einer definierten Aufgabe zu sein. Die Absicht gemeinsam nach außen in die Gesellschaft zu wirken, um ein politisches Zeichen zu setzen; es geht auch anders und natürlich besser, begegnet uns häufig als starke Motivation. Auch die Suche nach persönlicher Orientierung für die eigene zukünftige Lebens- und Arbeitsgestaltung führt in Gruppen. Oft geht damit auch eine gewisse Lust auf Experimente, etwas Neues zu versuchen, sich in ungewohnten Zusammenhängen auszuprobieren einher. Die Notwendigkeit schlicht und ergreifend die nötige Kohle für den Lebensunterhalt verdienen zu müssen oder durch eine bezahlbare Miete für Wohnraum diesen Druck zu verringern, sind sehr dauerhafte Motoren für den Aufbau eigener Strukturen. Abgesehen davon, so der Willkür von Arbeitgeber_innen und Vermieter_innen zu entkommen. Eng damit verbunden treiben auch die belastenden oder abschreckenden individuellen Erfahrungen in ‚normalen’, hierarchischen Lohnarbeitsverhältnissen Menschen in die Arme von selbstorganisierten Versuchen, u.a. um dem herrschenden Leistungsdruck nicht begegnen oder aushalten zu müssen. Fachliches Wissen und Können zu erlernen, Erlerntes praktisch anzuwenden, zu vertiefen oder sich weiter beruflich zu qualifizieren, ist bei den Motiven häufig vertreten, genauso wie an bestimmten Themen kontinuierlich dran zu bleiben. Die Enttäuschung in gescheiterten Gruppen oder den Mangel an eigenen Ideen zu kompensieren, … eine weitere Aufzählung würde mühelos mehrere Kolumnen alleine füllen.
Alle diese Gründe, Motive, Vorstellungen sind integer, sind berechtigt und sie sind in allen Gruppen vertreten und gehören zur personellen Grundausstattung, egal was draußen auf dem Klingelschild oder auf der Fahne des Projektes steht. Sie führen ein autonomes, individuelles Eigenleben neben dem konkreten Projektalltag. Finden sie beim gemeinsamen Arbeiten, Wohnen, Politikmachen oder in Aktionen genügend Nahrung, sind die Überschneidungen mit den persönlichen Wünschen ausreichend, erleben Individuum und Gruppen große Zufriedenheit.
Nur sind diese individuellen Motive – leider oder ein Glück – nicht genetisch festgelegt, nicht in Stein gemeißelt, sondern ändern sich bei jedem Menschen durch Erfahrungen, Lebenswege, Ereignisse, veränderte gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen, usw., was wohl hier nicht ausführlicher erläutert werden muss. So finden wir in vielen persönlichen Konflikten und hartnäckig geführten politischen sowie arbeitsalltäglichen Auseinandersetzungen in Gruppen ein Ringen um die Wahrung gerade dieser individuellen Vorstellungen als tragenden oder zumindest verstärkenden Hintergrund wieder. Nicht die oft im Mittelpunkt stehende Fragen nach der richtigen ‚Politik’ bzw. Strategie, der Verteilung von Wohnraum in Häusern, der Höhe des Verdienstes, die gerechte Verteilung der Kollektivarbeit, o.ä., sondern die Bedrohung oder sogar der Verlust persönlicher Bedürfnisse und Hoffnungen führen (un-)heimliche Regie.
Der Umgang damit gehört somit zu den unvermeidlichen und mühevollen Anstrengungen basisdemokratischer und gleichberechtigter Vorhaben. Der könnte damit beginnen, uns gegenseitig zumindest gelegentlich eine Blick ‚hinter die Kulissen’ zu gewähren und/oder unsere Mitstreiter_innen nach ihren höchst persönlichen Beweggründen zu befragen. Zweifelsohne führen ein aussagekräftiges Ziel, eine gebündelte Interessenlage oder beschlossene Grundsätze zu großer Handlungsfähigkeit. Nur die Stärke einer Gruppe bemisst sich unverändert nun einmal an der Stärke bzw. Entschlossenheit ihrer Mitglieder. Nur alle fünf Finger bilden eine Faust, so alt wie wahr.
Und den hier beschriebenen Motivationscocktail schlürfen wir gemeinsam und bestimmen die Geschmacksrichtung. Und der ist auch manchmal leider nicht mehr meiner….